Rulands
von Josef Westner
„Nette und kluge Jungens“ im Dritten Reich
Die Drei Rulands haben einiges an zeitgeschichtlichem Zündstoff zu bieten: Googelt man ihren Namen, wird unter anderem ein Vortragsskript mit dem Titel „Hineinhören in die Zeit“ von Anke Leenings zugänglich. Dort kann man über den Wandel hin zur nationalsozialistischen Kulturpolitik unter anderem lesen: „Bald verboten die Nazis die Auftritte der Comedian Harmonists im Jahre 1935 – und ahmten sie gleichzeitig zynisch mit den Drei Rulands nach, einem Gesangstrio, das im November 1938 den Stil der Ersteren zu Hassliedern um die Pogromnacht verzerrte, aber schon 1939 selbst in Ungnade fiel.“ Dass diese Aussage trotz eines wahren Kerns den Rulands in keiner Weise gerecht wird, mag die folgende Darstellung belegen.
Die Drei Rulands traten erstmals im Sommer 1933 in Bad Lauterbach in Erscheinung, wo sie im Kaffee Roseneck wöchentliche Kabarettauftritte gaben. Wilhelm Meißner (Tenor), Heinz Woezel (Bariton) und Manfred Dlugi (Bass) – allesamt Schulkameraden – sangen damals noch unter dem Namen Teddies. Von der Geschichte ihrer Entdeckung gibt es zwei Versionen – einmal ist es Rudolf Platte, einmal Edmund Nick, der sie auf Urlaub in Bad Lauterbach hörte und sofort engagierte. Wie die Geschichte nun auch gelaufen sein mag – letztere ist wohl wesentlich wahrscheinlicher –, das Ergebnis bleibt unumstritten: Am 20. September 1933 gaben die drei Kabarettisten ihr Debüt in Werner Fincks Katakombe. „Enge. Hitze. Rauchgeschwängerte Luft. Aber Stimmung. Und daher Erfolg, großer verdienter Erfolg. Bravo!“, war anderntags in der Presse zu lesen. Die Drei Katakomben-Jungs, wie sie sich fortan nannten, hatten den Durchbruch geschafft. Noch 1933 entstand die erste Plattenaufnahme des Ensembles, am Flügel begleitet von Edmund Nick, dem bereits erwähnten musikalischen Leiter der Katakombe. Der Text von Joachim Ringelnatz mag eine Ahnung von der parodistischen Ausrichtung der Gruppe geben:
„Wenn ich zwei Vöglein wär’ und auch vier Flügel hätt’,
flög die eine Hälfte zu dir, mein Schatz, flög die eine Hälfte zu dir.
Und die andere, die ging auch zu Bett, aber hier zu Hause bei mir. […]
Wenn ich ein Flügel wär’, linker Flügel beim Militär,
und auch keinen Vogel hätt’, flög ich zu dir.
Weil’s aber nicht kann sein, bleib ich im eignen Bett allein.“
1934 bauten sich die Katakomben-Jungs neben dem Kabarett ein zweites Standbein auf – sie traten als gewöhnliche Refrainsänger ins Musikgeschäft ein. Mit dem Orchester Fritz Domina entstanden zunächst zwei Platten mit Titeln, die die Sänger wohl besser parodiert hätten. Für den Plattensammler bleiben die Rulands auch in der Folgezeit eine ambivalente Sache: Den gelungenen parodistischen Einspielungen stehen bestenfalls zweitklassige Orchesterrefrains gegenüber. Dass dazwischen Welten liegen, lässt sich schon an den Titeln der Orchestereinspielungen erkennen: „Auf der Heide blüh’n die letzten Rosen“, „Marienkäferlein“, „In meinem alten Märchenbuch“, „Mit meiner kleinen Laterne“ oder „Viele gold’ne Sternlein steh’n am blauen Himmelszelt“ – um nur einige zu nennen – stehen im scharfen Kontrast zu den geistreichen Kabarettaufnahmen der Gruppe. Anders, als durch einen lukrativen Zugewinn aus der Tätigkeit als Refrainsänger, lässt sich dieser Widerspruch wohl kaum erklären.
Bei einem Auftritt in Greifswald kam es zur Trennung von Heinz Woezel und der Verpflichtung von Helmut Buth, der mit einem Kollegen als Klavierduo „Dur und Moll“ dort gerade gastierte – wann genau der Besetzungswechsel stattfand, ließ sich nicht mehr mit letzter Gewissheit ermitteln. Mit der amtlichen Schließung der Katakombe am 10. Mai 1935 kam für die Gruppe eine weitere, einschneidende Veränderung, war damit doch nicht nur die Haupteinnahmequelle versiegt, sondern auch der alte Name hinfällig. Man verständigte sich zunächst auf Drei Rolands – um wie Roland-Statuen über Berlin zu wachen –, hatte man doch schon 1934 erste Aufnahmen als „Rolands Lautensänger“ für Telefunken eingespielt. Auf Bitten der Artistenfamilie Roland, den Namen alleine nutzen zu dürfen, änderte man die Gruppenbezeichnung kurzerhand noch einmal in Rulands um.
Unter diesem neuen Namen war man in Berlin in den nächsten Jahren nahezu allgegenwärtig. Ob im Kabarett der Komiker oder im Wintergarten, die Auftritte der Drei Rulands fanden durchweg begeisterten Anklang beim Publikum. 1936 begann man nun auch wieder, Orchesterrefrains einzusingen, nun vornehmlich für Tempo, bzw. Brillant-Special. Leider sind heute lediglich drei Platten der Firma Grammophon erhalten, die das parodistische Potential der Gruppe dokumentieren: Sie veräppeln Schlager („Nachts ging das Telefon“, Hör’ mein Lied, Violetta“), dichten Volkslieder zur Satire um („Wenn einer eine Reise tut…“) oder führen in komischen Szenen ihre eigene Kunst ad absurdum („Minnesängers Lust und Leid“). Auch in der Filmbranche fand des Terzett Beachtung – erstmals wurde es 1936 für den Harry-Piel-Film „Sein bester Freund“ verpflichtet. 1937 folgte der Kurztonfilm „Die drei Windhunde“, 1938 ein Streifen mit dem Arbeitstitel „Farbrevue“.
Im Rundfunk bekamen die Rulands in der monatlich vom Reichssender Leipzig ausgestrahlten Sendung „Das interessiert auch dich!“ mit dem „Rulands-Eck“ ihren eigenen Programmabschnitt. Für die Novembersendung 1938 wurde ihnen ein Text nach der Melodie von „Hab’n Sie nicht den kleinen Cohn geseh’n?“ vorgeschrieben: Über „jüdische Schieber und Raffende“ hatten sie zu singen und darüber, dass diese „in früheren Zeiten ein Monopol auf Kunst, Konfektion und Musik“ besessen hätten. „Damit ist es heute vorbei“, proklamierte der Text in Anspielung auf die Reichskristallnacht weiter. Die Rulands sangen den Titel – aus welchen Gründen, bleibt reine Spekulation. Überzeugt von der nationalsozialistischen Herren-Ideologie dürften die Kabarettisten nicht gewesen sein, sonst hätten sie sich wenige Wochen später wohl kaum mit markigen Worten an den Plänen der Machthaber vergangen. Den Jahreswechsel 1938-39 kommentierten sie im 12-Uhr-Blatt noch frisch-fröhlich:
„Wir schreiben dies – zu dritt vereint –
der Zeitung, die zumeist
frühmorgens um 8 Uhr erscheint
und drum „12 Uhr Blatt“ heißt.
Da dieses Schema, wohl durchdacht,
durchaus nach unser’m Wunsch,
so feiern wir Silvesternacht
schon jetzt bei Sekt und Punsch.
Wir ziehen auch den „Karpfen blau“
uns jetzt schon zu Gemüte
und küssen jetzt schon jede Frau
und tragen bunte Hüte
und schrei’n „Prost Neujahr“ unentwegt.
Die Stimmung überspannt sich,
obwohl es jetzt erst dreizehn schlägt
und noch nicht vierundzwanzig. – – –
Als sie im Januarprogramm des KadeKos als „Berliner Stadtbauarchitekten“ auftraten und das utopische „Germania“-Projekt Hitlers in Grund und Boden sangen, konnten sie nicht mehr mit der Nachsicht des Regimes rechnen. Die erhaltene Testpressung dieser Szene erschreckt mit ihren geradezu prophetischen Details:
„Willst du unsern Plan hier einmal kurz umreißen. Kurz: Wir reißen alles um. […]
In Berlin fehlt’s an Schönheit und Schimmer,
drum war’s immer schon verpönt.
Doch jetzt wird es durch Bauschutt und Trümmer
und durch Sandhaufen herrlich verschönt. […]
Lasst uns Bahnhof um Bahnhof verschrotten,
auch die Schienen – weg mit ihnen.
Neues Leben blüht nur aus Ruinen
und Ruinen sind so schön.“
Als die Rulands dieses satirische Meisterwerk auf die Bühne brachten, standen sie am Zenit ihres Erfolges – Rundfunkanfragen häuften sich, bis Ende November 1939 war das Ensemble völlig ausgebucht, die Presse reagierte begeistert: „[D]ann fährt das erste schwere Geschütz des Abends auf und läßt seine Lachgranaten platzen: die drei Rulands sind wieder da! Als Umbauer Berlins singen sie uns ein herrlich-freches parodistisches Lied von der ‚verrückten’ Siegessäule und der nervös-gewordenen Spree. Donnerwetter, sind das nette und kluge Jungens!“ Und das Donnerwetter brach über die Jungens herein: Am 3. Februar 1939 wurden die Drei Rulands aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen – öffentlich, über eine Pressemitteilung: „Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Goebbels, hat den Schauspieler und Schriftsteller Werner Finck, den Conferencier Peter Sachse sowie die unter dem Namen ‚Die drei Rulands’ auftretenden Helmut Buth, Wilhelm Meißner und Manfred Dluge aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. Damit ist ihnen für die Zukunft jedes weitere öffentliche Auftreten in Deutschland verboten.“ Allen Künstlern wird vorgeworden, sie hätten „jede positive Einstellung zum Nationalsozialismus vermissen lassen“.
Willi Schaeffers, Leiter des KadeKos, hatte den Rulands den Ausschluss aus der Kulturkammer mitteilen müssen, das zu einem völligen Berufsverbot ausgeweitet wurde. Helmut Buths Vater, der an diesem Abend zufällig die Vorstellung seines Sohnes besucht hatte, musste mitansehen, wie den Künstlern die Pässe abgenommen wurden. Sie „zitterten, ob sie nicht auch noch ins KZ müssten“, so Ingeborg Niedlich, Helmut Buths Schwester. Im Sommer des Jahres schickten die Künstler des Kabaretts den ehemaligen Kollegen einen formlosen Scheck über 900 Reichsmark, damit diese sich wenigstens halbwegs über Wasser halten konnten. Helmut Buth wurde schließlich zum Militärdienst eingezogen, Wilhelm Meißner und Manfred Dlugi schickte man in die Rüstungsindustrie. Ein nach dem Krieg gestarteter Comeback-Versuch der Rulands mit Helmut Buth in Ost-Berlin scheiterte, während in Westdeutschland die spitzen Zungen von Wilhelm Meißner und Manfred Dlugi noch bis in die 1950er Jahre zu hören waren.
Für ihre Unterstützung bei möchte ich zunächst Goetz Kronburger und Alfred Wagner danken, die die im Booklet zur Duophon-CD „Die Drei Rulands – Lachen ist Trumpf“ enthaltenen Informationen bereitwillig zur Verfügung gestellt haben. Die CD ist nach wie vor erhältlich und sei an dieser Stelle – schon aufgrund der Veröffentlichung der „Stadtbauarchitekten“ – jedem Interessenten wärmstens empfohlen. Mein herzlicher Dank gilt außerdem Rosemarie Buth, Traudel Dlugi, Klaus Krüger, Karsten Lehl, Dagmar Nick, Ingeborg Niedlich, Hans-Joachim Schröer, Uwe Steinle und Jens-Uwe Völmecke.
(Dieser Artikel ist ursprünglich im Rahmen der Internetpräsenz Grammophon-Platten.de erschienen.)