Metropol-Vokalisten

von Josef Westner
 

Die erste Besetzung der „5 Parodisters“ 1932 – rechts außen: Kurt Bangert

Die erste Besetzung der „5 Parodisters“ 1932 – rechts außen: Kurt Bangert

Das Chamäleon der Vokalgruppenszene

 
„‚Liebes Kind, wenn wir erst einig sind’, die fünf Parodisters, die in ‚Lauf ins Glück’ zum ersten Male in einer Operette auf der Bühne stehen, hauchen den Text zärtlich ins Mikrophon. Bisher haben sie im Tonfilm ‚untermalt’, in ‚Charleys Tante’, in ‚Pechmarie’, in ‚Fräulein Liselott’ und anderen Filmen mitgewirkt. Im Rundfunk haben sie zahllose Male gesungen, aber das Publikum lernt sie eigentlich jetzt erst kennen: im Metropoltheater erobern sie die Bühne, als Kellner, die ihre Neigung nicht lassen können, im Ensemble zu singen, zu schluchzen, zu summen…“ So liest sich die Geburtsstunde der Metropol-Vokalisten am 21. September 1934 in der National-Zeitung. Oder zumindest die letzte Etappe ihrer Gründungsgeschichte, eng verbunden mit dem Namen Kurt Bangert.

Der 1894 in Bitterfeld geborene Kurt Bangert wuchs im ostpreußischen Insterburg auf. Schon dort baute er, inspiriert von der Männerchortradition des 19. Jahrhunderts, ein Gesangsensemble auf. Nach seinem Umzug ins pulsierende Berlin 1928 entstand beeindruckt von den Comedian Harmonists eine neue Gruppe, die wohl erstmals 1932 als „Fünf Parodisters“ in Erscheinung trat. Über diese erste Besetzung der Parodisters ist kaum etwas bekannt. Der Durchbruch gelang Bangert erst mit einem neuen Ensemble – Rundfunk, Film- und Plattenfirmen klopften bei dem Arrangeur und Pianisten an.

Das Gesangsquartett erwies sich dabei als Chamäleon der damaligen Vokalgruppenszene – und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zum einen begegnete man dem Ensemble unter verschiedensten Gruppennamen – die Sänger firmierten auf Plattenetiketten als Parodisters, als Gloria- oder Odeon-Gesangs-Gitarristen, als Singende Kameraden, als Vocalion-Chor, als Gloria-Vokalisten, als Gloria- bzw. Odeon-Männer-Quartett oder ganz ohne Namensnennung, obwohl sich die Bezeichnung Metropol-Vokalisten nach der festen Verpflichtung an das Metropol-Theater Berlin ab 1934 eingebürgert haben dürfte. Zum anderen versuchte sich das Ensemble auch an unterschiedlichsten Stilen: von der hohen Unterhaltungskunst der Comedian Harmonists über solide Orchesterrefrains und volkstümliche Schlager bis hin zu unrühmlichem Kriegspropaganda-Getöse. Hier stehen „Weißt du, Muatterl, was i träumt hab’?“ und „In München steht ein Hofbräuhaus“ neben „Ännchen von Tharau“, „Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?“ und der „Penny-Serenade“. Kaum eine andere deutsche Gesangsgruppe hat ein derart breit gefächertes Plattenoeuvre auf den Markt gebracht.

Die Metropol-Vokalisten mit v.l.n.r.: Wilfried Sommer (1. Tenor), Richard Westemeyer (Bass), Peter Purand (Bariton), Kurt Bangert (Piano), Günter Leider (2. Tenor)

Die Metropol-Vokalisten mit v.l.n.r.: Wilfried Sommer (1. Tenor), Richard Westemeyer (Bass), Peter Purand (Bariton), Kurt Bangert (Piano), Günter Leider (2. Tenor)

Und dabei trug das Ensemble stets die Handschrift seines Leiters Kurt Bangert, der aus den jeweils vier Sängern einen sehr gepflegten, ausgesprochen homogen-ausgewogenen Klangkörper geformt hatte. Nicht alle Personalwechsel lassen sich über die Jahre hinweg nachvollziehen. Klar ist bislang nur, dass die langlebigste, erfolgreichste Besetzung aus Wilfried Sommer (1. Tenor), Günter Leider (2. Tenor), Peter Purand (Bariton) und Richard Westemeyer (Bass) bestand, von denen einige dem Schellackplattensammler auch als solistische Refrainsänger bekannt sind. Während sich die Zahl der aufgenommen Platten der Metropol-Vokalisten wohl kaum beziffern lässt, kann man für ihre Mitwirkung an Filmen zumindest eine vorläufige Bilanz ziehen: Zwischen 1933 und 1941 war das Ensemble an mindestens elf Spielfilmen beteiligt, daneben an zwei Kurzfilmen, und damit nach den Comedian Harmonists zweifellos eine der fleißigsten und gefragtesten deutschen Gruppen in diesem Arbeitsfeld! Sie scheinen die Lücke, die das berühmte Ensemble nach seinem endgültigen Verbot 1935 in der Filmlandschaft hinterließ, als Nische für die eigene Karriere genutzt zu haben.

Mit Harald Paulsen und Marianne Winkelstern in dem Kurzfilm „Kannst du pfeifen, Johanna?“

Mit Harald Paulsen und Marianne Winkelstern in dem Kurzfilm „Kannst du pfeifen, Johanna?“

Noch 1933 hatte „Keine Angst vor Liebe“ Premiere, in dessen Vorspann unverkennbar die Metropol-Vokalisten mit „So ein Kuss kommt von allein“ zu hören sind. In „Wenn ich König wär’!“ singen sie zu Beginn in einer Bühnenszene begleitet vom Orchester Egon Kaiser „Mach die Augen zu und träum mit mir von Liebe“, während im Vordergrund der Vorspann abläuft, der sie als „die fünf Parodisters“ einführt. Diesem Namen machen sie bei einer späteren Veranstaltung im Film alle Ehre: Vom Conferencier als „das berühmte Gesangsquartett der Königswerke ‚Die Harzer Roller’“ angekündigt, betreten vier würdige Schauspieler die Bühne und mimen ein steifes, mit Notenalben regelrecht bewaffnetes Ensemble. Sie geben den Filmschlager „Wenn ich so könnte, wie ich möchte“ – synchronisiert von den Metropol-Vokalisten – als ausgesprochen traditionelles Quartettarrangement. Umständlich mühen sich die Herren Sänger nach der Vorführung mit dem Vorhang, während das begeisterte Publikum frenetisch applaudiert. In dem Kurzfilm „Kannst du pfeifen, Johanna?“ sind die „5 Gloria-Parodisters“, so der Vorspann, erstmals nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Bei Spielfilmauftritten bleiben sie hingegen auch fortan weitgehend unsichtbar – sowohl in „Charleys Tante“ als auch in „Pechmarie“, „Fräulein Liselott“ und „Herz ist Trumpf“ (alle 1934 entstanden) sind sie ausschließlich zu hören.

Werbecollage der Plattenfirma

Werbecollage der Plattenfirma

Nach sechs Filmen 1934 ist für das Folgejahr nur ein Kurzfilm mit den Metropol-Vokalisten bekannt, der aber als verschollen gelten muss. Im Dezember 1936 werden drei weitere Spielfilme unter Mitwirkung der Metropol-Vokalisten uraufgeführt: „Donner, Blitz und Sonnenschein“, „Es geht um mein Leben“ und „Verklungene Melodie“. In den beiden letztgenannten tritt die Gruppe jeweils sichtbar in Erscheinung. „Sonntagskinder“ ist der letzte bislang bekannte Film vor Kriegsende, an dem die Gruppe mitwirkte – im Vorspann erklingt das Titellied in ihrem Arrangement. Zu identifizieren ist das Ensemble dabei nur nach Gehör, einen schriftlichen oder sonstigen Beleg für seine Mitwirkung gibt es nicht.

Die Gruppe Anfang der 1950er Jahre mit Peter Purand, Günter Leider, Wilfried Sommer und Willy Sommerfeld

Die Gruppe Anfang der 1950er Jahre mit Peter Purand, Günter Leider, Wilfried Sommer und Willy Sommerfeld

Nach einer mehrjährigen, kriegsbedingten Pause sind die Metropol-Vokalisten eine der ganz wenigen deutschen Vokalgruppen, die sich nach dem Krieg wieder erfolgreich einen Platz in der Unterhaltungsmusik erkämpfen konnte. Und das unter erschwerten Bedingungen, denn der Gründer und Kopf der Gruppe, Kurt Bangert, war 1948 völlig überraschend gestorben. In Willy Sommerfeld fanden die verbliebenen Sänger einen adäquaten Nachfolger, der das Ensemble einige Jahre lang begleitete. Dennoch: Die Musikwelt hatte sich mit Ende des Weltkriegs radikal gewandelt und die Metropol-Vokalisten konnten mit den modernen Strömungen nicht mithalten. 1956 entstanden die letzten Aufnahmen der Gruppe, die damit fast 25 Jahre lang existiert hatte. Das Geheimnis des Ensembles war dabei sicher ihr Gesamtklang – das „Quartett ist harmonisch haarfein abgestimmt“, wie es die Schlesische Volkszeitung einmal ausdrückte. Diese vollendete Harmonie war wohl das Erfolgsrezept des wandlungsfähigen Chamäleons.
 

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Für ihre Unterstützung bei meinen Recherchen möchte ich Dorothea Bangert (†), Lars Gorklo, Hans, Klaus und Werner Purand, Dorothea und Sebastian Sommerfeld sowie Dr. Reinhard Figge, Karsten Lehl, Prof. Dr. Ernst Offermanns und Dr. Jens-Uwe Völmecke ganz herzlich danken.
 

(Dieser Artikel ist ursprünglich im Rahmen der Internetpräsenz Grammophon-Platten.de erschienen.)